Die besonderen Beiträge, die das Integument der Insekten zu den Fragen der Zelldifferenzierung bietet, beruhen wesentlich auf der Vielzahl verschieden-artiger Differenzierungen, die bei dieser hochentwickelten und dabei doch kleinwüchsigen Tiergruppe auf einzelne große Spezialzellen verteilt oft auf engem Raum nebeneinander vorkommen, oder auch, in der Metamorphose durch Häutungen die sonst meist verborgene Fähigkeit der Zelle zu wieder-holten Differenzierungsleistungen demonstrierend, nacheinander von denselben Zellen hervorgebracht werden. Ein weiterer charakteristischer Zug in der Entwicklung des Insektenintegumentes ist ihre Abhängigkeit von einer Serie hormonaler Anstöße, in deren Gefolge nach jeder Häutung zunächst eine Mitosenperiode, danach die Herstellung einer neuen Kutikula stattfindet und schließlich die Häutungsdrüsen in Tätigkeit treten, die beim Vollzug der nächsten Häutung mitwirken. Im Lauf der Entwicklung verändert sich nun die Zusammensetzung des jeweils wirksamen Hormonsystems, und damit, allein in Abhängigkeit von ihm, auch die Differenzierungsleistung des Integuments. So bringt das Grundepithel eines holometabolen Insekts unabhängig von seinem Alter und seiner Vorgeschichte je nach dem hormonalen Milieu, dem es aus-gesetzt wird, entweder eine larvale oder eine pupale oder schließlich eine imaginale Kutikula hervor (Piepho, 1950,1951). Im normalen Entwicklungsgang erfährtes also eine zweimalige Umdifferenzierung. Daneben können im Epithel regionale Unterschiede in der Höhe der Schwelle gegenüber bestimmten hormonalen Faktoren bestehen und ein Muster aus verschiedenen nebeneinander auftretenden Kutikularbildungen erzeugen (Piepho & Heims, 1952). Besonders empfindliche Anzeiger sowohl für die hormonalen wie auch für andere die Zelldifferenzierung bestimmende Einflüsse finden sich aber unter den für die Insekten charakteristischen, in das Grundepithel eingefügten Kleinorganen, die als Borsten, Schuppen, Drüsen oder Sinnesorgane aller Art jeweils aus wenigen, zum Teil einzeln unterschiedlich differenzierten und zu einer bestimmten Grofie heranwachsenden Zellen zusammengesetzt sind (Henke, 1947,1951).

In der besonderen Entwicklungsweise dieser Organe tauchen nun noch andere die Zelldifferenzierung berührende Fragen auf, denn sie entwickeln sich aus jeweils einer einzelnen Stammzelle, die ähnlich einer Eizelle des sogenannten determinativen Entwicklungstypus in einer streng festgelegten Folge differentieller Zellteilungen schrittweise in die für unterschiedliche Differenzierung und Teilfunktion vorgesehenen Spezialzellen des Organs zerlegt wird (Abb. 1 a-c). Kommen einfache Vermehrungsteilungen einzelner Zellen hinzu, so ist ihre Anzahl gering und gleichfalls gesetzmäßig fixiert (Abb. 1 d, e). Wenn ein solches Zellsystem nicht erst am Ende der Entwicklung sondern schon in der Embryo-nalzeit oder auf einem späteren Durchgangsstadium fertiggestellt ist, so können die von seinen chitinbildenden Gliedern hervorgebrachten kutikularen Bestand-teile bei den folgenden Häutungen mit der Kutikula des Grundepithels abge-worfen und ähnlich wie sie von denselben Zellen jeweils erneut hergestellt werden, sei es in dem gleichen Zustand, oder, weil die Bildungszellen noch weiter wachsen, in vergrößerter Form, schließlich auch, wie etwa bestimmte Borsten bei den Entwicklungsstadien der Wachsmotte Galleria mellonella, in einer mehr oder weniger stark abgeänderten Gestalt (Kruminš, 1952). Wie das Grundepithel können also auch die Bildungszellen, offenbar unter hormonalem Einfluß, eine Umdifferenzierung erfahren, und zwar geschieht es nun hier mit Sicherheit ohne Zwischenschaltung von Zellteilungen. Auch ein Vorgang, der wie die Schuppenbildung der Schmetterlinge normalerweise nur einmal beim Abschluß der Entwicklung stattfindet, kann im Experiment wiederholt werden, und mit großer Wahrscheinlichkeit vollbringen auch hier einzelne Bildungszellen eine zweimalige Differenzierungsleistung (Piepho & Meyer, 1951).

ABB. 1.

Zellteilungsfolgen in der Entwicklung von Kleinorganen im Integument der Insekten. a, Sinnesborste mit einer Sinneszelle (Henke & Rönsch, 1951). b, Chordotonalorgan (E. Jagers, noch unveröffentlicht). c, Versonsche Drüse (Henke, 1951; R. Stabenau, noch unveröffentlicht). d, Sinnesborste mit 4 Sinneszellen (Henke & Rönsch, 1951). e, Ommatidium (Bernard, 1932). f. Schuppen-Epithel-Verbände der Schmetterlinge jeweils in Vierzahl aus einer Viererverband-Stammzelle hervorgehend (Henke & Pohley, 1952). Unten rechts Beispiel eines Viererverbandes mit verschiedenen der möglichen Kombinationen von Schuppengröße und Epithelzellenanzahl. — Bi Z, Bildungszelle; St Z, Stammzelle; Z, Zelle.

ABB. 1.

Zellteilungsfolgen in der Entwicklung von Kleinorganen im Integument der Insekten. a, Sinnesborste mit einer Sinneszelle (Henke & Rönsch, 1951). b, Chordotonalorgan (E. Jagers, noch unveröffentlicht). c, Versonsche Drüse (Henke, 1951; R. Stabenau, noch unveröffentlicht). d, Sinnesborste mit 4 Sinneszellen (Henke & Rönsch, 1951). e, Ommatidium (Bernard, 1932). f. Schuppen-Epithel-Verbände der Schmetterlinge jeweils in Vierzahl aus einer Viererverband-Stammzelle hervorgehend (Henke & Pohley, 1952). Unten rechts Beispiel eines Viererverbandes mit verschiedenen der möglichen Kombinationen von Schuppengröße und Epithelzellenanzahl. — Bi Z, Bildungszelle; St Z, Stammzelle; Z, Zelle.

In der Entwicklung der Spezialzellen in Sinnesborsten-und Schuppen-apparaten sind in neuerer Zeit durch die von verschiedenen Untersuchern mit unterschiedlichen Methoden zutage geförderten Ergebnisse eine Reihe von Entwicklungsmechanismen neu oder besser als bisher erkennbar geworden, die teils im Vollzug der Zelldifferenzierung, teils in ihrer Vorbereitung und Lenkung wirksam sind.

Das erste mikroskopisch sichtbare Anzeichen einer bevorstehenden Borsten-oder Schuppenbildung ist ein mit Endomitosen verknüpftes gesteigertes Gröften-wachstum der Bildungszellen oder auch schon einer ihrer Vorfahrenzellen (Henke & Mertz, 1941; Henke & Pohley, 1952). Gegenüber den Faktoren, welche die spezifische Zelldifferenzierung bestimmen, ist dieses Größenwachstum ein relativ unabhängiger Frozß. So können bei Schmetterlingen im Gefolge eines bei der Raupe eingeleiteten Regenerationsvorganges Epithelzellen, Schuppen-und Balgbildungszellen gleichermafien vergrößiert sein, ohne dafi sich ihr jeweils besonderer Differenzierungscharakter verändert (Kühn, 1949; Kühn & Piepho, 1940). Bei der Wasserwanze Corixa punctata vergrößern sich die Borsten-bildungszellen und ihre Kerne anhaltend wahrend der ganzen Larvenzeit, und entsprechend werden auch nach jeder Häutung größere Borsten als nach der vorhergehenden gebildet. Eine Endomitose tritt aber in den einzelnen Bildungszellen nicht in jedem Häutungsintervall ein, sondern immer nur dann, wenn das Gröoßenwachstum vorher eine bestimmte, für jede Kernstufe charakteristische Schwelle iiberschritten hat (Ch. Lipp, im Druck). 1st das bei einer Bildungszelle nicht der Fall, so machen ihre Chromosomen eine Pseudoendomitose durch, indem sie, ohne sich zu teilen, die in den Funktionszyklus der Zellen einge-paßten Bewegungen und Formänderungen der in einer Endomitose begriffenen Chromosomen anderer Bildungszellen mitmachen (Ch. Lipp, im Druck). Zwar hat es den Anschein, daß schon zu Ende der Embryonalentwicklung die Anzahl der einer Zelle bevorstehenden Endomitosen sich in der Dicke der Chromo-somen abzeichnet, doch werden die einzelnen Endomitoseschritte jedenfalls dur ch das ihnen vorausgehende Größienwachstum ausgelöst. Andererseits bestimmen nun die Endomitosen das Ausmaß des Wachstums, denn wenn eine Endomitose eintritt, so wird der Größenzuwachs des Kerns gegenüber den ohne Endomitose vollzogenen Schritten jeweils bis zu einer bestimmten Grenze gesteigert. Diese Grenze ist ebenso wie die in der Auslösung einer Endomitose erkennbare Schwelle für jede Polyploidiestufe charakteristisch. Beide zusammen sind ein Ausdruck für bevorzugte Gleichgewichtslagen zwischen Kerngröße und Chromosomenanzahl, wie sie aus der verbreiteten, bisher aber wohl noch nicht in derselben Weise wie hier analysierten Erscheinung des rhythmischen Kern-wachstums bekannt sind. Bei der Borstenbildung der Dipteren werden statt der endomitotisch entstandenen Reihen von Polyploidiestufen der Bildungszellkerne Riesenchromosomen von unterschiedlicher Größe hergestellt (Schwenk, 1947), die sich auf verschiedene Anzahlen von Kryptoendomitosen (Bauer, 1938) zurückführen lassen. Der Größenzuwachs des Kernvolums beim Übergang von einer Kernstufe zur nächsthöheren kann bei der Mehlmotte Ephestia Kühniella bis zu einer Verdoppelung gehen (Henke & Mertz, 1941). Bei Corixa, deren Chromosomen viel lockerer im Kernraum verteilt liegen als die der Schmetter-linge, ist er mit einem Vergrößerungsfaktor von im Mittel 176 wesentlich geringer. Im Vergleich hierzu ist der Zuwachs des Zellvolums, wenn man es nach der Größe der von der Bildungszelle als lang auswachsender Fortsatz hergestellten Schuppe oder Borste bestimmt, unverhöltnismößig stark, und so ist auch die mit den Polyploidiestufen der Bildungszellkerne verknüpfte Größen-variabilität etwa bei den Schuppen der Schmetterlinge viel ausgeprägter dis-kontinuierlich als bei den Kernen selbst, so daß man die Kernstufen aus den bevorzugten Größentypen der Schuppen leichter als aus den Kerngrößien bestimmen kann. Bei den Borstenbildungszellen von Corixa, deren annöhernd kegelförmige Produkte eine einigermaßen zuverlässige Volumbestimmung erlauben, ist der Vergrößerungsfaktor des Zellvolums gleich der 3. Potenz des für das Kernvolum gültigen Wertes.

Will man hiernach die Borsten-oder Schuppenbildung eher als Sekretions-wie als Wachstumsleistung der Bildungszellen ansehen, so handelt es sich bei der Differenzierung der Borsten und Schuppen jedenfalls um die Herstellung eines mehr oder weniger kompliziert geformten Sekretes, das auch mit der Chitinisierung, Pigmentierung und Erhärtung noch erhebliche chemische Veranderungen erfährt. Lees und Picken haben die Entwicklung normaler und mutanter Borsten von Drosophila unter diesem Gesichtspunkt studiert und die normale Gestalt und Beschaffenheit der Borste in allen wesentlichen Zügen aus den Eigenschaften des Bildungsmaterials, speziell der Orientierung der Mole-külketten des Chitins, sowie aus seiner in einer Reihe von Schritten jeweils von bestimmten Genen kontrollierten Herstellung interpretieren können (Lees & Picken, 1945). Ähnlich wie die mannigfachen von Mutationen bewirkten Ab-änderungen können auch die jeweils in bestimmten Entwicklungsstadien durch extreme Temperaturreize ausgelösten Modifikationen verschiedene Phasen im Ablauf der Borstendifferenzierung kenntlich machen (Henke, v. Finck & Ma, 1941; Ma, 1943). Da hier sicherer als bei den Mutationen der Zeitpunkt anzu-geben ist, in dem eine bestimmte abnorme Entwicklung einsetzt, ware es im Hin-blick auf die Frage der Wirkungszeiten verschiedener Gene nützlich, die auf den beiden verschiedenen Wegen hervorgerufenen Reihen von Entwicklungs-stdrungen genauer zu vergleichen. Bei den Schuppen der Schmetterlinge ist der Aufbau der Gesamtform allein aus der sekretorischen Tätigkeit der Bildungs-zelle und den molekularen Eigenschaften des Chitins wohl noch nicht ohne weiteres zu verstehen. Die Schuppe erhalt ihre charakteristische Form schon vor Abschlufi des Wachstums und der Chitinisierung (Stofiberg, 1938). Dabei konnten durch Modifikationsexperimente auch hier verschiedene schrittweise nacheinander die endgültige Formbildung bestimmende Prozesse erfafit werden (Köhler & Feldotto, 1937; Kühn, 1948), von denen nun einer, wie Kühn gezeigt hat, den Unterschied zwischen dem Stiel und dem freien Ende lediglich als polare Organisation festlegt. Die Ausmodellierung des freien Endes mit seinen charakteristischen Zacken findet erst später statt. Schließlich, wenn die Formbildung abgeschlossen ist, wird die Schuppe noch annähernd maßstabsgetreu wesentlich vergrößert.

Die Borsten und Schuppen entstehen jeweils in engem Kontakt mit einer zweiten Bildungszelle, die ihre Basis kragenartig umfaßt und eine sie beweglich festhaltende Chitinstruktur herstellt, den Borstenring oder Schuppenbalg (Abb. 1 a, d, e). So erhebt sich die Frage nach den Entwicklungsbeziehungen zwischen den Bildungszellen der Borste oder Schuppe und ihrer Haltevorrichtung. Die bisher vorliegenden Beobachtungen lassen einerseits eine gewisse Autonomie, andererseits aber auch bestimmte Abhängigkeiten erkennen. So kann nach den Ergebnissen von Kühn (1948) ein im wesentlichen normal gestalteter Schuppen-körper ohne Kontakt mit einem Balg entstehen, doch ist dabei das normaler-weise vom Balg umfafite Stielende mehr oder weniger deformiert. Bei Drosophila können nach Lees & Waddington (1942) gewisse mutativ bedingte Störungen der Borstenform auf ein abnormes Lageverhältnis zwischen Borsten-und Ring-bildungszelle zurückgeführt werden. Andererseits ist wieder, nach denselben Untersuchern, die Ringbildung als solche der Borste gegenüber autonom, denn sie kann, wenigstens wenn abnormerweise zwei oder mehrere Ringbildner vor-handen sind, ganz ohne Borstenbildungszelle vor sich gehn; es entsteht dann ein einheitlicher Ring. Solche zusammengesetzten Bildungen können nun auch eine Borste einschließen, und es ware interessant, in derartigen Fällen die Maßver-hältnisse genauer zu prüfen. Bei Ephestia und ähnlich auch bei der Trichoptere Limnophilus flavicornis konnen Schuppen oder Borsten verschiedener Größen-typen jeweils mit Haltevorrichtungen gepaart sein, deren Bildungszellen verschiedene Kernstufen aufweisen (Henke & Mertz, 1941; G. Rönsch, noch unveröffentlicht), doch variieren bei statistischer Betrachtung die Kernstufen der beiden aus einer gemeinsamen Stammzelle hervorgehenden Bildungszellen gleichsinnig, und bei Ephestia besteht über diese summarische Abstimmung hinaus eine enge Korrelation der Balgweite zu dem Größentypus der Schuppe, die auf eine unmittelbare Abhängigkeit zwischen den beiden Bildungszellen schließen läßt (Henke, 1945).

Verfolgt man nun die Entwicklung der Borsten-und Schuppenapparate von dem Größenwachstum und der Differenzierung ihrer Bildungszellen rückschrei-tend weiter, so ist zunächst zu fragen, worauf der differentielle Charakter der letzten Stammzellenteilung beruht, warum also die beiden mit ihr auftretenden Zellen sich unterschiedlich, die eine zum Borsten-oder Schuppenbildner, die andere zur Bildungszelle einer Haltevorrichtung entwickeln, und wodurch der besondere Charakter der Entwicklung sowohl der einen wie der anderen Zelle bestimmt wird. Der Entwicklungsunterschied könnte schon innerhalb der Mutterzelle vorbereitet sein, so daß bereits die Teilung als solche inäqual ist und damit determinierend wirkt. In der Differenzierung pflanzlicher Zellen spielen, wie besonders Bünning (1952) gezeigt hat, solche inäqualen Zellteilungen eine bedeutende Rolle. Andererseits könnte die unterschiedliche Entwicklung aber auch erst den aus einer äqualen Teilung hervorgehenden Schwesterzellen auf-geprägt werden, etwa dadurch, daß sie infolge der Einstellung der Spindel unter verschiedene jeweils spezifisch determinierende Außeneinflüsse geraten. Die Untersuchungen von Lees & Waddington (1942) an Mutanten von Drosophila zeigen zunachst, daß der differentielle Charakter der Teilung mehr oder weniger vollstandig verloren gehen kann und daß die Entwicklung als Ring-oder Borsten-bildungszelle nicht notwendig streng alternativ ist, da statt der Borste auch Übergangsformen bis zu einer reinen Ringkomponente auftreten können, die sich dann mit dem Produkt der Schwesterzelle zu einer einheitlichen Ringfigur vereinigt. Ferner ist die abnorme Entwicklung mancher Mutanten deutlich mit einer abnormen Lage der Bildungszellen im Epithel verkniipft. So fanden sich bei Borstenausfall in der Tiefe des Epithels liegende und dabei ihrem Aussehen nach offenbar nicht entwicklungsäähige Zellen, und bei Formen, die Doppel-ringe ausbilden, zwei oberflächlich nebeneinander liegende Bildungszellen. Die Untersucher rechnen offenbar wesentlich mit einer Bestimmung der Ent-wicklungsrichtung der Zellen durch ihre Lage im Epithel, womit denn der leider bei den Mutanten nicht direkt untersuchten Spindeistellung eine entscheidende Bedeutung zukärne. In der normalen Entwicklung ist die Spindel bei Borsten und Schuppen allgemein mit großer Regelmäßigkeit schrag zur Oberflache geneigt, und zwar so, daß die Bildungszelle der Borste oder Schuppe tiefer als die der Haltevorrichtung zu liegen kommt (Henke & Rönsch, 1951; Stofiberg, 1938). Andererseits sprechen mikroskopische Bilder dafür, daß tatsächlich bereits die Teilung als solche auf Grund einer schon in der Stammzelle vor-handenen Differenzierung inaqual ist. Eine damit bewirkte Determination der Tochterzellen könnte wohl eine Tendenz zum Aufsuchen bestimmter Lagen einschließen. Auch ein von der Ringbildungszelle ausgehender Einfluß von der Art einer komplementären Induktion kann im Spiel sein. Es ist sehr wohl mög-lich, daß die Entwicklungsrichtung, die eine Bildungszelle einschlagen soil, mehrfach gesichert ist.

Von dem einen oder den beiden vorhergehenden differentiellen Teilungs-schritten, die an der I. Organstammzelle ansetzen, ist wenig bekannt. Es ware denkbar, daß es sich bei der für gewisse Mutanten von Drosophila charak-teristischen Vermehrung der Ring-und Borstenbildner nicht oder nicht nur um überzählige Teilungen sondern um eine abnorme Entwicklung der in diesem Entwicklungsabschnitt normalerweise gebildeten Zellen handelt. Die Sinnes-oder Sinnesstammzelle wird wohl immer bei senkrecht zur Oberfläche gestellter Spindel nach innen zu abgegeben. Bei der Abgliederung ihres Korrelates in der Entwicklung der Schmetterlingsschuppen, der degenerierenden Zelle, zeigt das mikroskopische Bild eine deutlich inaquäle Teilung.

Die Bestimmung einer Epithelzelle zur Organstammzelle kann in der embryonalen wie in der postembryonalen Entwicklung stattfinden. Über das Material, das zu der Frage nach dem Ursprung dieser Bestimmung für pflanz-liche Objekte vorliegt, gibt die auf eigenen und fremden Untersuchungen fufiende Diskussion von Bünning (1952) eine gute Übersicht. Bei den Insekten sind es häufig bestimmte morphologisch ausgezeichnete Punkte, an denen ein-zelne Epithelzellen des Integumentes den Charakter von Organstammzellen an-nehmen. Vielfach erscheinen die Stammzellen aber auch in bestimmten Feldern in einer mehr oder weniger regelmäßigen rhythmischen Anordnung (Henke, 1948b). Die Entstehung einer solchen Ordnung ist in vielen Fällen wohl am besten im Anschluß an eine von Wigglesworth (1940) entwickelte Vorstellung so zu verstehen, daß in einem bestimmten Entwicklungsstadium alie Zellen grund-sätzlich gleichermafien aber mit zufallsmäßig verteilten geringfügigen Ge-schwindigkeitsunterschieden die Tendenz zur Annahme des Charakters einer Stammzelle erwerben, und daß nun eine Konkurrenz um einen nur begrenzt verfügbaren Hilfsfaktor einsetzt, deren Selektionswirkung nur einer Auswahl von ungefähr gleichabständig verteilten Zellen die Weiterführung der ange-bahnten Entwicklung gestattet.

Für die bei der jungen Puppe zuerst sichtbar hervortretenden Schuppenstamm-zellen der Schmetterlinge gilt nun aber ein ganz anderes Prinzip (Henke, 1948b). Hier wird das Epithel normalerweise in der Anfangszeit des letzten Raupen-stadiums auf hormonalem Weg in die zur Schuppenbildung führende Entwicklungsrichtung eingelenkt, unbeschadet der ungefähr um dieselbe Zeit auf gleiche Weise eintretenden Bestimmung zur Herstellung der Puppenkutikula. Im Transplantationsexperiment kann derselbe Entwicklungsgang auch schon in der Haut von Eiräupchen eingeleitet werden (Kühn & Piepho, 1940). Eine noch vor der Mitosenperiode des letzten Raupenstadiums auftretende erhöhte Strahlenempfindlichkeit des Epithels ist vielleicht der erste Ausdruck des neuen Zustandes (Henke & Pohley, 1952). Weniger wahrscheinlich ist wohl ein Zusam-menhang mit der ebenfalls im Strahlenversuch nachweisbaren, gleich nach der letzten Larvenhäutung beginnenden Vervielfältigung der selbständig mutations-fähigen Einheiten in den Chromosomen, welche die erst wesentlich später ein-setzenden Mitosen vorbereitet (H. J. Pohley, im Druck).

Im Lauf dieser letzten larvalen Zellteilungsperiode laufen nun an allen Zellen der genauer studierten Flügelanlagen zunächst etwa vier einfache Vermehrungs-teilungen der Epithelzellen ab. Sie sind, wie das Verhalten einer bestimmten Mutante zeigt, für die normale Schuppenbildung wenigstens zum Teil entbehr-lich (Querner, 1948). Dann folgen drei différentielle Teilungen, deren letzte jede Zelle der Flügelanlage in eine Schuppenstammzelle und eine nur Epithelzellen Hefernde Epithelstammzelle zerlegt (Henke, 1946; Henke & Pohley, 1952; Abb. 1 f). Der Zeitpunkt dieser Teilung konnte durch Strahlenversuche im Endab-schnitt der Mitosenperiode festgelegt werden. Wird im Transplantationsexperi-ment der Entwicklungsabschnitt, in dem sie stattfindet, übersprungen, so wird die Schuppenbildung verhindert (Piepho, 1947). Ohne sie kann eine Zelle off en-bar nicht zur Schuppenstammzelle werden. Sie ist wahrscheinlich inaqual, denn zwischen den beiden aus ihr hervorgehenden, qualitativ unterschiedlich sich entwickelnden Zellen besteht weiterhin eine eigentümliche Entwicklungsab-hangigkeit, die am einfachsten mit der Annahme einer von Fall zu Fall wech-selnden Aufteilung eines in allen Zellen der geteilten Generation, den Schuppen-epithelstammzellen, in gleicher Menge oder Wirkungsstärke vorhandenen Wachstumsfaktors zu deuten ist. Die Epithelstammzelle macht nämlich umso weniger Vermehrungsteilungen durch, je stärker die später aus der Schuppenstammzelle hervorgehende Schuppe und ihr Balg heranwachsen, und die Anzahl der von der Schuppenstammzelle durchlaufenen Endomitoseschritte bildet mit der Anzahl der Teilungsschritte der Epithelstammzelle eine konstante Summe. Man kann von einem bei der Bildung der Schuppenstammzellen wirksamen Kompensätionsprinzip sprechen, das die Schuppengröße, die Wachstumsord-nung des Epithels und Schließlich auch das Schuppenstellungsmuster, soweit es nicht durch möglicherweise mitwirkende Zellbewegungen bestimmt wird (Süffert, 1937), in Abhängigkeit voneinander häit.

Wie der Ausgleich zwischen den Bestimmungsfaktoren für Schuppenwachs-tum und Epithelzellenvermehrung bei der Teilung der Schuppenepithelstamm-zellen im Einzelfall eingestellt wird, hängt nun von den beiden vorhergehenden Teilungen ab (Abb. 1f). Die vier Schuppenepithelstammzellen des mit diesen Teilungen geschaffenen Viererverbandes können sich bei der folgenden, die Schuppenstammzellen liefernden Teilung mehr oder weniger ungleich verhalten — hierin prägt sich der in wechselndem Grad differentielle Charakter dieser Teilungen aus—und sie können außerdem gleichsinnig mehr oder weniger große Schuppen und entsprechend kleinere oder größere Epithelverbände liefern. Dabei herrschen bestimmte Gesetzmäßigkeiten, die am besten mit der Annahme eines nach einem einfachen Muster regional ungleichmäßig verteilten, vor Ein-setzen der differentiellen Teilungen vielleicht im Zusammenhang mit der Bestimmung des Epithels zu imaginaler Entwicklung auftretenden Agens zu deuten sind (Henke, 1951; Henke & Pohley, 1952). Man muß dann annehmen, daß dieses vorläufig kurz als Schuppenbildungsfaktor bezeichnete Agens mit zunehmender Wirkungsstärke bei den beiden ersten differentiellen Teilungen in steigendem Maß ungleichmäßig verteilt wird und weiterhin bei der dritten die Schuppenstammzellen bei der Verteilung des konstanten Wachstumsfaktors in gleichfalls zunehmendem Grad begünstigt. Wenn die Zurückführung der in der Gestaltung des Schuppenkleides erkennbaren Gesetzmäßigkeiten auf die wechselnde Wirkungsstärke eines durch die Zellgenefationen hindurch weiter-gegebenen Schuppenbildungsfaktors das richtige trifft, so verlaufen auch die beiden ersten differentiellen Teilungen inäqual. Gewisse durch Strahlen-wirkungen auslosbare Veränderungen liegen im Sinne einer örtlichen Erhohung seiner Wirksamkeit (H. J. Pohley, noch unveröffentlicht).

Bei den Trichopteren hat sich in eingehenden Untersuchungen keinerlei Hin-weis auf eine den Verhältnissen bei den Schmetterlingen ähnliche Entstehungs-weise der Borstenstammzellen finden lassen (G. Rönsch, noch unveröffentlicht). Sicher ist schon die Entwicklung verschiedener zu einer einheitlichen Funktion nöotiger Zellen aus einer gemeinsamen Organstammzelle ein abgeleiteter Zustand. Bei den Trichopteren ist es offenbar hierbei geblieben, wahrend in der Entwicklung der Schmetterlinge zur Imago das Prinzip der differentiellen Zell-teilung auf noch frühere Zustände ausgedehnt worden ist. Es hat hier außer der Entfaltung auch die Herstellung der einzelligen Organanlagen übernommen, und Schließlich legt es, noch früher wirkend, die räumliche Ordnung der Organe sowie gewisse quantitative Differenzierungsunterschiede zwischen ihnen schon vor der Aussonderung ihrer Anlagen fest.

Tatsachlich geht die Bedeutung, welche dies in der Entwicklung des Schuppenkleides gewonnen hat, noch weiter als es hier deutlich gemacht werden konnte, denn die beiden ersten differentiellen Teilungen üben außer den geschilderten unmittelbaren Wirkungen auch noch einen Einfluß aus auf die Fähigkeit der Bildungszellen, auf bestimmte in regionalen Gliederungen auftretende Faktoren anzusprechen, wie sie sich etwa im Farbmuster zeigen (Henke, 1948a, 1948b), oder auch in zum Teil bedeutenden Strukturunterschieden wie dem zwischen Schuppe und Haar (H. J. Pohley, noch unveroffentlicht). Mit dieser Verflechtung zwischen unabhängig voneinander durch ganz verschiedene Mechanismen erzeugten Differenzierungsordnungen zeigt sich hier am Schuppenkleid der Schmetterlinge zuletzt noch ein Prinzip, das bei der Herstellung der unüber-sehbaren Mannigfaltigkeit von Differenzierungsunterschieden, wie sie die organische Entwicklung kennzeichnet, sicher ganz allgemein eine besonders wichtige Rolle spielt.

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